Mittwoch, 08.05.2024 09:49 Uhr

Ein Lehrer in Saudi - Teil 8

Verantwortlicher Autor: Theo Goumas Ar'ar, 23.03.2024, 13:12 Uhr
Presse-Ressort von: Theodoros Goumas Bericht 3981x gelesen

Ar'ar [ENA] Ein Lehrer beschließt, das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Europa für eine Zeitlang den Rücken zu kehren und sein Glück in Saudi-Arabien zu suchen. Er bewirbt sich als Englischlehrer und nach vielen Absagen, kommt doch noch eine Zusage, allerdings mit Vitamin B. Das ist der Beginn einer wunderbaren Reise in ein verschlossenes Land, das kaum jemand kennt. Eine wahre Geschichte in Teilen erzählt. Teil 8 der Saga.

Irgendwann im Morgengrauen höre ich zuerst den Muezzin und dann den Imam. Es ist betörend und ich schlafe selig weiter. Als mich um 6 Uhr der Wecker aus den Träumen reißt, fällt es mir schwer aufzustehen. Musste lange nicht mehr so früh aufstehen. Um 7:20 Uhr gehe ich die Treppe runter zum Erdgeschoss und blicke auf eine vor der Sonne orange erleuchtete Eingangstür. Wahnsinn! Am Sicherheitspersonal vorbei werde ich herzlichst gegrüßt und grüße genauso herzlich zurück und gehe raus in die Frische der Wüste. Ar´ar ist eine kleine Stadt mit ca. 240.000 Einwohnern mitten in der Wüste im Nordosten des Königreichs.

Den Namen Ar'ar bekam die Stadt von einem ehemaligen Ölfeld namens „Feld RR“. Die Stadt wurde 1951 gegründet, nachdem die Aramco Ölpipeline fertig konstruiert worden war. Anfangs war es nur eine Ölpumpstation mit einem Gesundheitszentrum und es lebten nur wenige Arbeiter hier. Langsam wuchs der Ort zu einer Stadt, der größten der Nordgrenzregion. Der Name Ar’ar bedeutet ‚Wacholder’ auf Arabisch. Irak liegt in 60 Km Entfernung, aber die Grenze ist schon länger zu und Jordanien liegt mit etwa 2 Stunden Fahrt, auch nicht weit. Durch die Wüste ist das Klima sehr trocken und in der Nacht ist es recht frisch.

Ich stehe vorm Eingang, schaue auf die Wüste gegenüber, genieße den Sonnenschein und die klare Luft. Die Kollegen kommen so langsam und wir begrüßen uns. Auf einmal kommen ein paar Afrikaner und ich wundere mich wer sie sind. Mir wird erklärt, dass das die University of Missouri-Leute sind, welche die Studenten im zweiten Ausbildungsjahr unterrichten. Sie kommen aus Ghana und promovieren in den USA. Die Arbeit hier ist Teil ihrer Promotion. Auf einmal höre ich eine Stimme aus einem der parkenden Autos kommen und sagen: „Guten Morgen Theo, du bist der Neue, nicht wahr?“ Oha, noch ein Gesicht das ich nicht kenne!

Es ist Doktor Suha. Der Doc ist Türke, lebt seit sehr vielen Jahren in den USA, hat zwei Doktortitel und ist Leiter der Missouri-Truppe. Doktor Suha ist einer der besten Menschen die ich je kennengelernt habe. Er verteilt sogar Umarmungen an meine Kollegen und jeder liebt ihn. Dann kommt Mohammed, unser Fahrer. Wir steigen in einen klapprigen Nissan-Bus, der vorm Haus steht, ein und fahren los. Die Fahrt geht quer durch die Stadt. Auf einer Stadtautobahn zwar, man kann jedoch einiges von der Stadt sehen. Ich bin begeistert und kann vom Anblick gar nicht genug bekommen. Eine Viertelstunde später kommen wir an und verteilen uns. Ein paar gehen in die Cafeteria zum Frühstücken, der Rest ins Haupthaus in die Küche.

Dort gibt es Kaffe, Tee und Mineralwasser umsonst und soviel man will. Noch etwas Positives in diesem Teil der Welt. Ich folge Murray ins Büro und dann in einen Unterrichtsraum. Eine Stunde schaue ich zu und dann habe ich Gelegenheit die Studenten kennenzulernen und zu Unterrichten. Es ist gar nicht leicht die jungen Männer in Zaum zu halten. Sie sind voller Energie und Leben und wollen so ziemlich viel über mich erfahren. Außerdem haben sie nicht wirklich Lust auf Unterricht. Obwohl sie zwischen 18 und 23 Jahren alt sind, habe ich das Gefühl eine Horde Dreizehnjähriger vor mir zu haben.

Nach einer Stunde geht’s wieder ins Büro. Die nächsten paar Tage werde ich Büroarbeit machen, Anwesenheiten der Studenten in Excel Dateien eintragen. Um 15:30 kommt Mohammed der Fahrer wieder und es geht zurück im klapprigen Bus. Kaum zu Hause, verschwinden alle in ihre Wohnungen. Am späten Nachmittag fahre ich mit ein paar Kollegen zu einem Supermarkt. Kaum drin, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Zuerst gibt es einen Bereich indem Mobiltelefone, Laptops, Tablets, etc. verkauft werden. Die Preise sind supergünstig, weil es hier keine MwSt. gibt. Alles, aber wirklich alles, ist steuerfrei.

Danach geht es in den eigentlichen Supermarkt. Alles gibt es in großen Portionen. Reis gibt es ausschließlich in Säcken, ab 5 Kilo. Nichts darunter. Die 500gr Packung die wir kennen, gibt’s hier nicht. Der größte Sack wiegt 50Kg. Waschpulver nur in sehr großen Kartons und in einer Ecke gibt es ein paar sehr kleine Packungen zwischen 90gr und 190gr. Wasser gibt es im Becher! In Flaschen und Behälter ab 3 bis 20 Liter. Hab mir gleich einen 20 Liter Behälter gekauft. Da man das Leitungswasser auf gar keinen Fall trinken oder zum Kochen verwenden kann, gibt es auch Wasser zum Kochen zu kaufen. Die Fleischtheke ist mager.

Außer Mortadella (Hähnchen und Rind) in verschiedenen Geschmacksrichtungen (mit Oliven, Pfeffer, etc.) gibt es nichts anderes. Dasselbe mit dem geriebenen Käse. Nur Mozzarella. Auch Zucker gibt es in größeren Verpackungen als bei uns. Beim Obst- und Gemüsestand kann man Gott sei Dank ganz normal einkaufen. Ich fühle mich mit meinen drei Äpfeln und fünf Orangen zwar etwas dämlich zwischen den Arabern, die auch hier alles in größeren Mengen kaufen, aber egal. Ich werde positiv überrascht, als ich entdecke, dass es auch normales Brot gibt und nicht nur Fladenbrot. Bei den Säften ist die Auswahl größer als bei uns und außerdem gibt es viele mit exotischen Früchten, wie Guave, etc.

Ich brauche etwas länger als meine Kollegen, nicht nur weil ich mich erstmal zurechtfinden muss, sondern weil mir die arabische Schrift und die Zahlen zu schaffen machen. Interessant finde ich, dass es eine Theke mit Nüssen, Körnern, usw. gibt. Das Teeregal ist zwar reichlich bestückt, aber von der Auswahl bin ich etwas enttäuscht. Lipton wird hier gern getrunken merke ich. Gab’s in der Küche auf der Arbeit auch reichlich. Es gibt Gott sei Dank nicht nur Lipton, sondern auch marokkanischen und arabischen Tee und einen mit deutscher Expertise.

Als ich so durch die Gänge gehe, sehe ich viele Frauen die alleine Unterwegs sind und einige die mit ihren Männern da sind. Positiv ist, dass meistens die Männer den Einkaufswagen schieben und die Paare gemeinsam entscheiden was gekauft werden soll. Irgendwann kommt eine Durchsage, die Lichter gehen aus und alle rennen zu den Kassen. Was ist los? Einer meiner Kollegen sieht mich und meint: „Schnell, zur Kasse! Gleich ist Betenszeit und der Laden schließt. Wenn du es nicht rechtzeitig schaffst, müssen wir warten bis die Betenszeit um ist.“ Also mache ich mich auf zur Kasse und schaffe es rechtzeitig aus dem Supermarkt.

Während der Betenszeit schließt hier alles. Wenn man sich gerade in einem Supermarkt befindet, sollte man, wenn die Ansage kommt, sich schleunigst auf dem Weg zur Kasse begeben. Da die Leute vom Supermarkt wissen, wann Betenszeit ist, wird die Ansage entsprechend zeitig gemacht, damit alle es rechtzeitig schaffen. Braucht man jedoch etwas länger, oder man schafft es nicht rechtzeitig zu bezahlen, muss man seinen Einkaufswagen stehen lassen, sich nach draußen begeben und warten bis der Laden wieder aufmacht. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass sich das Personal auf dem Boden wirft und betet und die Leute warten lässt. Das ist Schwachsinn! Keiner wirft sich auf dem Boden um zu beten, weder das Personal, noch die Konsumenten.

Alle werden nach draußen gebeten und die Tür wird für etwa eine halbe Stunde zugesperrt. Wer mag, kann in eine Moschee zum beten. Das gleiche gilt auch für Restaurants. Nicht jedoch für Hotelcafés und Hotelrestaurants. Da Hotels nicht schließen können, wird die Bar, bzw. die Küche zugemacht und es wird nicht serviert. Aber natürlich gibt es auch Ausnahmen. In größeren Städten, wo es sehr viele Expats gibt, so wie in Dammam, wird die Tür des (westlichen) Restaurants zugesperrt, die Vorhänge werden zugezogen und drinnen wird normal gegessen und bedient. Dort scheint die Mutawa – die Religionspolizei, beide Augen zuzudrücken.

Nicht so in Ar’ar. Hier wird kontrolliert und es werden saftige Strafen verhängt. Deswegen gehen die meisten Leute entweder am frühen Nachmittag raus, weil die Spanne zwischen der dritten und der vierten Betenszeit groß ist, oder nach der letzten des Tages. Da die Läden um 23 Uhr zumachen, hat man genügend Zeit und muss nicht hetzen. Die vierte und fünfte Betenszeiten liegen nah beieinander und man sollte es vermeiden sich Essen zu bestellen, weil man Stunden darauf warten wird und seine Einkäufe sollte man sehr schnell tätigen.

Ich schaffe es rechtzeitig zu bezahlen und wundere mich, dass ich so wenig zahlen muss. Das Leben hier ist wirklich sehr günstig! Trotz aller Hektik, findet der Kassierer ein wenig Zeit um mit mir zu plaudern. Er kann etwas Englisch und nachdem er gefragt hat woher ich komme und was ich hier mache, heißt er mich in der Stadt und im Land willkommen. Ich fühle mich geehrt und gerührt. Rasant geht es über die Stadtautobahn wieder zurück nach Hause. An die hiesige Fahrweise muss ich mich noch gewöhnen. Fortsetzung folgt.

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